Als die brennende Fackel erlischt Der Absturz des britischen Bombers bei Michelau-Neuhausen 1943 Teil 2 ____________________ |
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Michelau-Neuhausen (novo) Ein britischer Bomber stürzte In der Nacht vom 27. auf den 28. August 1943 bei Michelau-Neuhausen ab, nachdem er von einem deutschen Nachtjäger über Nürnberg in Brand geschossen worden war. Eines der beiden Höhenruder unterhalb der Tragflächen konnte später in einem Garten im Dorf bewundert werden, wie links zu sehen ist (das Bild wurde uns von Egon Lutz zur Verfügung gestellt). Noch heute liegen im Wald bei Neuhausen Metallteile der in der Luft explodierten Lancaster (kleines Bild). Repro/Foto Norbert Vollmann _______________________________
2. und letzter Teil Der beim Luftangriff der Royal Air Force auf Nürnberg am 27./28. August 1943 von einem deutschen Jagdflugzeug in Brand geschossene Bomber rast inzwischen, von Geusfeld über den Zabelstein kommend, als rötlicher Feuerball auf Neuhausen und Prüßberg zu. Noch über dem "Haussteig" kommt es zur ersten größeren Explosion an Bord. Das Flugzeug droht als brennende Fackel auf Neuhausen zu stürzen.
Anna Reinhart, Jahrgang 1911, eine geborene Kram, sieht von Neuhausen aus beim Blick durchs Fenster mehrere Maschinen über den Berg kommen. Mit einem ihrer zwei kleinen Kinder auf dem Arm läuft sie die Treppe hinunter, um zur Haustür hinauszuschauen. Anna Reinhart: „Während die anderen Flugzeuge plötzlich wie vom Erdboden verschwunden waren, kreiste eine Maschine noch über dem Dorf. Alles war hell erleuchtet, weil sie brannte. Man konnte bereits Explosionen an Bord vernehmen. Sie trudelte immer mehr. Wir im Ort dachten: Wenn die jetzt runtergeht, fällt sie direkt auf Neuhausen.“
Tragischer Tod am Fallschirm
Im letzten Augenblick kommt noch ein Besatzungsmitglied mit dem Fallschirm heraus, möglicherweise wird es auch herausgeschleudert, und treibt nun Richtung Prüßberg. Die gebürtige Neuhäuserin: „Wir dachten schon, der ist gerettet, doch dann ereignete sich eine weitere Explosion an Bord und eines der Metallteile traf den Mann am Fallschirm in der Luft. Darauf fiel er herunter wie ein Sack.“ Theo Bäuerlein (Jahrgang 1933) aus Geusfeld: „Das Flugzeug verglühte wie ein Komet.“ Oskar Lutz aus Prüßberg, damals elf Jahre alt: „Die Mutter hatte uns geweckt und erklärt, dass irgendwo ein Angriff ist. Da sahen wir schon das Flugzeug brennend über unser Haus fliegen.“ Egon Lutz, damals knapp sechs Jahre alt: „Das ganze Haus hat gewackelt, als der Bomber explodierte.“ Adolf Fuchs beobachtet das Spektakel von der Bischwinder Kappel aus: „Der Bomber ging im Sturzflug nieder und zog einen Feuerschweif hinter sich her. Überall schossen meterhohe Flammen heraus. Die Flügel waren offenbar aufgrund der Hitzeentwicklung eingeklappt. Man hat nur Feuer gesehen.“ Richard Ditzel, Jahrgang 1928: „Das von einem deutschen Jäger verfolgte Flugzeug brannte lichterloh, als es über den Berg kam. Dann ist es in der Luft explodiert. Ich höre die Schläge noch heute.“ Robert Blaurock, damals acht Jahre alt: „Man hat gedacht, der Bomber kommt direkt auf Neuhausen zu.“ Und auch Rosa Zinner aus Prüßberg erfährt von der Angst der Neuhäuser, dass der Bomber über dem Dorf explodiert. Doch die Einwohner haben Glück. Die Überreste der Lancaster bohren sich kurz vor dem Ortseingang auf der rechten Seite an der Straße nach Prüßberg in den weichen Boden der Ebrachs Wiesen. Noch stundenlang sind von dort die Schläge, verursacht durch die hoch gehende Munition und das sich entzündende Flugbenzin, zu hören. Deswegen traut sich auch zunächst niemand an die Absturzstelle.
Ludwig Meister und seine Besatzung haben sich unmittelbar nach dem Abschuss ihrer zweiten Lancaster in dieser Nacht auf Rückflugkurs begeben. Funker Hannes Forke schreibt in sein Tagebuch: „Da aber das Lichtenstein-Gerät (siehe Stichwort) nicht richtig funktioniert, erwischen wir nichts mehr.“ Ludwig Meister, Hannes Forke und Toni Werzinski setzen nach 174 Flugminuten, zwei Abschüssen und einem Fast-Frontalzusammenstoß am Samstagfrüh um 3.20 Uhr auf dem Flugfeld in Mainz-Finthen sicher auf. Die Nacht ist kurz. Schon um 9.15 Uhr wird die Me 110 zum Rückflug nach Belgien starten.
Als die Detonationen nachlassen, verlässt gegen früh Anna Reinhart zusammen mit ihrem Vater das Haus: „Ich sagte, ich muss erst den Mann suchen. Ich dachte, er müsste gleich vor dem ersten Haus liegen, doch wir fanden ihn erst tot am Bildstock in der Kurve nach Prüßberg liegen. Ich konnte den Anblick aber nicht ertragen und bin wieder heimgegangen.“ In der Brieftasche des Toten findet man ein Bild, das eine hübsche Frau mit zwei Kindern zeigt. Anna Reinhart: „Wir dachten alle: Die haben jetzt keinen Vater mehr.“ Von den Motoren schaut nicht mehr viel aus der weichen Erde heraus. Die anderen Teile liegen überall verstreut herum. Eine Wiese in der Nähe der Hauptabsturzstelle kann wegen der vielen Metallteile gar nicht mehr gemäht werden. Man gibt sie einem Schäfer, um sie von seiner Herde abweiden zu lassen. Drei Tote werden an einem Wieseneck an der Straße nach Prüßberg abgelegt. Weitere findet man in der Nähe des Rumpfes, ebenfalls stark entstellt oder verkohlt. Inzwischen treffen die ersten Polizisten ein, um die Absturzstelle mehr recht als schlecht abzusichern. Die Luftwaffe beginnt bald mit der Bergung der Wrackteile und der Leichen.
"Es war das Erste, was ich vom Krieg gesehen habe. Ich bin gleich wieder gegangen" Josef Pfrang, nachdem er die Toten an der Absturzstelle gesehen hatte
Rasch hat sich im Umland herumgesprochen, dass bei Neuhausen ein englischer Bomber abgestürzt ist. Josef Pfrang aus Michelau, damals 15 Jahre alt, wird den Anblick der Toten nie vergessen: „Es war das Erste, was ich vom Krieg gesehen habe. Ich bin gleich wieder gegangen.“ Adolf Hauck fährt mit anderen Gerolzhöfern mit dem Rad nach Neuhausen. Nichts ahnend stolpert er im hohen Getreide über einen Toten. Lehrer Oskar Kern führt die Schulkinder aus Prüßberg hoch zum Nachbarort, um ihnen die Absturzstelle zu zeigen. Die Trümmer rauchen noch und auch die Toten liegen noch in der Mulde auf der Wiese an der Straße. Teilweise öffnen Kinder die Plastikbeutel auf der Brust der Toten, um die darin befindlichen Süßigkeiten herauszunehmen. Und natürlich steht bei den Jugendlichen die Bordmunition als begehrtes, wertvolles Tauschobjekt hoch im Kurs, obwohl der Umgang mit der „Beute“ nicht ungefährlich ist. Jugendliche und Erwachsene schleifen ganze Patronengürtel mit nach Hause. Teile der Tragfläche und ein Höhenruder finden in einem Garten als Rabatte Verwendung. Ein Bauer findet auf seinem Feld an der Absturzstelle ein Maschinengewehr, das es aus dem Bomber herausgeschleudert hat. Kinder aus Geusfeld entdecken am Waldrand das Schlauchboot, das zwecks einer Notwasserung von den Bombern mitgeführt wird. Der Versuch, es mit Luftpumpen aufzublasen, ist zum Scheitern verurteilt. Theo Bäuerlein: „Eine Mutter hat das Material schließlich zusammengeschnitten und Gummieinlagen für die Kinderwagen daraus gemacht.“ Nach getaner Arbeit beginnt die Luftwaffe mit dem Abtransport der Wrackteile per Tieflader und Eisenbahn zum Flugplatz nach Kitzingen. Die Überreste der getöteten Flieger werden nach Michelau gebracht. Der örtliche Schreiner fertigt die Holzkisten für die Beerdigung in einem Gemeinschaftsgrab links vom Kreuz an der Mauer im nordöstlichen Eck des Friedhofs. Kuratus Ambros Schor trägt kurz nach dem Krieg in die Bücher des Katholischen Pfarramtes von Michelau - nicht ganz korrekt, was die Zahl der Toten anbelangt - ein: „8 Soldaten der englischen Luftwaffe stürzten in der Nacht vom 27./28. August 1943 zwischen Neuhausen und Prüßberg tödlich ab. Die Opfer wurden am 29. August auf dem hiesigen Friedhof unter kirchlichen Ehren beigesetzt.“ Ähnlich meldet es das Schweizer Generalkonsulat in München an die Engländer. Zunächst heißt es in dem Telegramm: „Dobbins, Clayton und Aspden wurden am 29. August 1943 zusammen mit vier Unbekannten in Gerolzhofen beerdigt.“ Später, als man offenbar genauer nachforscht, erfolgt die Korrektur: „Dobbins, Aspden, Clayton und Bevis sowie drei Unbekannte wurden am 29. August in Michelau beerdigt.“
Am 1. September 1943 schreibt Hannes Forke, der Navigator und Funker an Bord des von Ludwig Meister geflogenen Nachtjägers, in sein Tagebuch: „Vier Jahre Krieg. Wie oft werden wir noch an diesem Tag weiterzählen? Was wird uns das fünfte Kriegsjahr noch bringen?“.
Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs und dem Ende des Zweiten Weltkriegs trifft 1946 eine der von den Alliierten eingesetzten Spezialeinheiten in Michelau ein, deren Aufgabe es ist, die im Feindesland gefallenen und begrabenen Soldaten zu ermitteln. So kommt es auch in Michelau im Steigerwald dazu, dass die Toten wieder ausgegraben werden. Die Angelegenheit wird den Michelauer Gemeinderat in seiner Sitzung am 18. August 1946 unter der Leitung von Bürgermeister Josef Barth beschäftigen. Im Protokollbuch heißt es zum Beratungsgegenstand „Grabauswurf für abgestürzte englische Flugzeugbesatzung“: „Der Gemeinderat beschließt für den Grabauswurf entgegen der Rechnung von 130 Reichsmark 50 RM zu bewilligen. Je 10 Reichsmark erhalten die drei Helfer, 20 Mark erhält der Friedhofswärter.“ Der Ratsrunde war die Rechnung wohl eindeutig zu hoch ausgefallen. Nachdem sie nach Dürnbach auf den zentralen Commonwealth-Soldatenfriedhof für Süddeutschland gebracht worden und auch die anderen Toten identifiziert sind, finden Leonard Aspden und seine Männer schließlich hier am Tegernsee am 27. September 1947 ihre letzte Ruhe. Die britische Luftwaffe verliert bei dem Angriff 33 Flugzeuge, darunter bei ihrem zwölften Einsatz die Lancaster DV187 der 12. Bomberschwadron im Steigerwald bei Neuhausen. Oberleutnant Ludwig Meister wird im März 1944 schwer verletzt, als er nach einem Luftkampf mit einem US-Jagdbomber notlanden muss. Erst im August 1944 kehrt er zu seiner Einheit zurück. Zwischenzeitlich erhält er im Juni 1944 für seine 37 Luftsiege das Ritterkreuz. Am 6. Dezember wird er Kommandeur der III. Gruppe des NJG 4. Sein 39. und letzter Abschuss gelingt ihm am 8. März 1945. Ludwig Meister lebt mit seiner Frau heute in Südfrankreich. Er wurde am 14. Dezember 87 Jahre alt.
© Norbert Vollmann 2006-2007
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